„Wie, um 6 Uhr aufstehen? Ich dachte wir haben Urlaub!“ Das war das erste was uns durch den Kopf ging, als wir vor Ort angekommen waren.
Angefangen hat das Ganze so: 2 Mitglieder der SG-Stern haben bereits vor 2 Jahren an der Tortur teilgenommen und waren – von einem masochistischen Anfall gepackt – auf der Suche nach weiteren Mitstreitern. Mit einer ausführlichen E-Mail, in der beschrieben war, wie toll das Essen und die Landschaft seien, sollten 2 zusätzliche Ruderer angelockt werden. Daraufhin haben sich jedoch gleich 7 weitere „Verrückte“ bereiterklärt, eine Woche Urlaub mit Schlafen, Essen und vor allem Rudern zu verbringen.
Es ging um die Teilnahme an der „Rallye du Canal du Midi“ – einer Wanderfahrt bzw. Rallye eben, die in diesem Jahr zum 31. Mal stattgefunden hat. Der Canal du Midi wurde 1681 erbaut und erstreckt sich auf 240 km durch Südfrankreich, wobei er das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet. Die Regattastrecke von Toulouse bis Beziers beträgt 205 km inkl. 49 Schleusen, die es in 5 Tagen zu bewältigen galt.
Anreise war für die meisten von uns schon samstags, um sich noch einen Tag in Toulouse umzusehen, bevor wir am Sonntag die Boote aufriggerten. Dank der hervorragenden Organisation (immerhin haben die Veranstalter schon 30 Jahre Erfahrung) hatten wir 8 ziemlich neue Gig Boote vom „Aviron France“ zur Auswahl. Unsere beiden Mannschaften (Stuttgart Rjoesle/bleu & Stuttgart Stem/verte – die französische Interpretation von Rössle & Stern) waren zeitig da und konnten sich die Startnummern 1 & 2 sichern. Die Stimmung war schon beim Aufriggern großartig, und so konnten wir erste Bekanntschaften machen, z.B. mit dem extra aus Neuseeland angereisten Team.
Nachdem wir das Startgeld bezahlt hatten, war der erste Tag auch schon vorbei.
Die eigentliche Rallye begann dann Montag morgens um 7 Uhr im Herzen von Toulouse. Nach einer kurzen Einführung von André (dem Hauptorganisator, Bootswart & Ansprechpartner für alle Fälle) über die Rallye, die Bedienung der Chariots und die nicht allzu berauschende Wasserqualität, ging es endlich los. Für den Vormittag standen zum Warmwerden lockere 20 km auf dem Programm. Doch wie das Boot ins Wasser bekommen? Ganz einfach:
Das Boot befindet sich exakt ausbalanciert auf dem Chariot (kleines Wägelchen) und kann dann ganz bequem senkrecht zum Ufer bis an die Wasserkante gefahren werden. Jetzt hebt Man(n) den Bug an, bis das Heck ins Wasser taucht. Der geübte Rallye-Ruderer lässt das Boot jetzt ganz entspannt über das Chariot ins Wasser gleiten, „Madame Chariot“ nimmt dann das Wägelchen weg. Die anderen von der Mannschaft ziehen das Boot an Leinen parallel zum Ufer und das Chariot wird auf den Bug geschnallt. Jetzt noch schnell durch die zugewucherte Böschung kämpfen und schon ist die Mannschaft im Boot.
So die Theorie – unter der sich später einstellenden Wettkampfatmosphäre war es ab und an mal etwas hektischer, womit wir uns dann auch mal eine Ermahnung von André einhandelten.
Außerdem gab es noch einen Landdienst. Der begleitet seine Mannschaft mit einem Fahrrad und sucht die besten Anlagestellen vor den Schleusen, um die Boote aus dem Wasser heben zu können. Denn der Kanal hat auf der 205 km langen Strecke 49 Schleusen, die umtragen werden mussten. Es gibt Teilnehmer die behaupten, das sei der anstrengendste Teil der Rallye gewesen…
Tägliches Highlight war das ausgiebige Mittagessen an der gemeinsamen, großen Tafel. Ein Cateringservice hat Vorspeise, Hauptspeise, Nachtisch, Käseplatte und dazu reichlich Rotwein aus der Region gereicht. Trotz etwa dreistündiger Mittagspause fiel das Rudern danach immer schwer, vor allem bei den hohen Nachmittagstemperaturen von oft über 35°C. Die schönste Rast war wohl die in der Weinkellerei, in dem sogar ein „Merlot RG“ ausgebaut wurde.
Die anstrengenden Nachmittagstouren wurden beim täglichen Zieleinlauf dann durch leckere Häppchen wie Oliven, Quiche, Käse, Kuchen, Sekt und natürlich wieder Rotwein entschädigt. Gestiftet haben die Leckereien die jeweiligen Bürgermeister der Zieleinlaufstätten. Wer wissen möchte, worüber die Offiziellen bei ihrer Ansprache gesprochen haben, muss Katharina fragen. Sonst hat nämlich keiner von uns genau verstanden, was da alles geredet wurde…
Nach der kleinen Stärkung ging es in einem Reisebus weiter, der uns fast jeden Tag in die Jungendherberge im mittelalterlichen Carcassonne gebracht hat. Dort gab es wieder ein ausgiebiges Abendessen, natürlich mit Rotwein.
Die kurze Pause vor dem Abendessen wurde von den meisten Teilnehmern genutzt, um sich von einer der beiden Krankenschwestern die Hände verarzten zu lassen. Sehr großzügig wurde dabei „Eosin“ angewandt, eine knallrote Tunke, die hilft die Blasen auszutrocknen und zu desinfizieren. Ansonsten wurde getaped und gecremt was das Zeug hält. Die herzliche Art der beiden hat vermutlich auch dazu geführt, dass sich einige vor allem für die psychologische Führsorge in der langen Schlange angestellt haben.
Um 23 Uhr lagen wir dann alle schon erschöpft im Bett, um am nächsten Tag wieder in aller Frühe aufzustehen.
Außer an 2 Nachmittagen wurde die Zeit von allen Etappen gewertet. Trotz des Rallye-Charakters hat sich eine der beiden Stuttgarter Mannschaften dann doch die Zeit genommen baden zu gehen, wenn auch etwas unfreiwillig. Nichtsdestotrotz wurde die verlorene Badezeit wieder eingefahren und Stuttgart konnte letztendlich hinter Toulouse den 2. und 3. Platz belegen.
Bei der Abschlussfeier am letzten Abend wurden die beiden Stuttgarter Mannschaften noch mit dem Fairnesspreis „erpresst“. Dieser Wanderpokal muss nämlich nächstes Jahr wieder zurück. Ob wir diesen Preis durch unsere musikalischen Untermalungen während der Busfahrt bekommen haben oder wirklich durch unsere sportlich-faire Leistung weiß wohl nur André.
Für die Ruderer, die noch genügend Kraft hatten, gab es am Samstag ein Sprintrennen. Abgeschlossen wurde die Woche mit der Siegerehrung und natürlich einem entsprechenden 4 Gänge Menü.
Nach dem letzten Tropfen Rotwein haben sich alle herzlichst verabschiedet, denn im Laufe der Strapazen haben wir uns zu einer amüsanten Gemeinschaft zusammengefügt.
Mit dem Bus ging‘s dann wieder zurück zum Ausgangspunkt nach Toulouse.
Am Sonntag wurde auf dem lokalen Markt zum letzten Mal genüsslich gefrühstückt und es wurden noch etliche Spezialitäten für zu Hause eingekauft, bevor es galt, die Heimreise anzutreten.
Alles in allem war es eine anstrengende aber auch sehr schöne Woche. Was bleibt sind die Erinnerungen an die vielen netten Leute, das schöne Wetter, gutes Essen und die Hornhaut auf den Händen, die noch die ganze nächste Rudersaison anhalten wird.